heimatfront – Bühnenbilder des Krieges
Claudio Hils fand Zutritt zu militärischen Tabuzonen, wie sie weltweit existieren, aber kaum zugänglich sind. In Süddeutschland proben Truppen und Sondereinsatzkommandos den zukünftigen Ernstfall zwischen Relikten kriegerischer Vergangenheit und in neuesten, auch digitalen Testumgebungen.
Die stillen Fotografien von Claudio Hils muten an wie surreale Bühnenbilder, erinnern an malerische Tableaus oder filmische Szenerien. Zeit- und Wirklichkeitsebenen verlieren ihre scharfen Konturen. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion werden schliesslich durch virtuelle Bilder aus Übungssoftware der Bundeswehr gänzlich gesprengt.
Texte von Tobias Daniek, Stefanie Hoch, Bernd Stiegler und Edwin Ernst Weber erweitern die Bildwelten aus den Perspektiven des Militärs, der Kunst und der Geschichte.
- Publikation
Heimatfront – Bühnenbilder des Krieges
Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit, 2020
ISBN 978-3775748438
- Ausstellungen
- 2021
- Heimatfront – Bühnenbilder des Krieges, Kreiskunstgalerie Schloss Meßkirch, DE (20.09. - 21.11.2021)
Heimatfront – Bühnenbilder des Krieges, Kreiskunstgalerie Schloss Meßkirch, DE (20.09. - 21.11.2021)
Das aus einer fünfjährigen Recherche hervorgegangene fotografische Ausstellungsprojekt „Heimatfront – Bühnenbilder des Krieges“ von Claudio Hils gibt Einblicke in heutige militärische Tabuzonen direkt vor unserer Tür: „Heimatfront“ setzt sich mit Räumen zur militärischen Ausbildung und zur Terrorabwehr auseinander. Dabei überlagern sich Geschichte, Gegenwart und Zukunft, wenn die verlassenen Militärstandorte aus Zeiten des Kalten Krieges festgehalten, die Gegenwart in Form von heutigen Übungsgeländen und „Bühnenbildern des Krieges“ seziert sowie der Ausblick in virtuelle Welten der Ausbildungssoftware der Bundeswehr gegeben wird.
Die exemplarisch an zwei aktuellen und zwei ehemaligen Militärstandorten im heutigen Landkreis Sigmaringen – der Staufer-Kaserne Pfullendorf, den ehemaligen amerikanischen Sondermunitionslagern Inneringen und Mottschieß, dem Truppenübungsplatz und Lager Heuberg – entstandenen Fotografien sind einerseits Zeugen und Dokumente dieser vorgefundenen Orte und Handlungsräume, gleichzeitig gehen sie über die jeweils gezeigten Situationen weit hinaus. Sie sprechen verschiedene Ebenen im kollektiven Bildgedächtnis an – in Bezug auf die eigene, regionale Vergangenheit, auf militärische Zonen weltweit wie auch virtuelle Bildwelten. Die präzise Bildsprache und die beinahe malerischen Kompositionen verleihen den Räumen und Landschaften eine große atmosphärische Dichte und Aufladung und leisten als Bilder zwischen Fakt und künstlerischer Fiktion einen stringenten Beitrag zu aktuellen Diskursen im Bereich von Kunst und Geschichte. Zwischen Geschichte und Gegenwart, zwischen analogen Nachbauten und digitalen Bildern des simulierten Cyberwar werden grundsätzliche Fragen nach der Abbildbarkeit von Wirklichkeit gestellt.
Zugleich bringt Claudio Hils ein Stück zur Aufführung, das das gespaltene Verhältnis unserer Gesellschaft zu Gewalt und Militär beleuchtet. Militärische Räume befinden sich außerhalb des gesellschaftlichen Rahmens, doch sie sichern diesen zugleich. Armeen gelten als unzeitgemäße Apparate, doch die Beteiligung an friedenssichernden und humanitären Einsätzen erscheint über die Parteigrenzen hinweg als Notwendigkeit. Das Militär wird gesellschaftlich weithin abgelehnt und verdrängt, aber es wird in Anspruch genommen, um den privilegierten Lebensstil der westlichen Welt zu sichern. Die Ausstellung „Heimatfront – Bühnenbilder des Krieges“ zeigt diese unauflösbaren Widersprüche in ebenso zurückhaltenden wie beunruhigenden Bildern.
Die in einer grenzüberschreitenden deutsch-schweizerischen Kooperation entstandene Ausstellung wird vom 19. September bis 28. November 2021 in der Kreisgalerie Schloss Meßkirch gezeigt. In einer ersten Station war die Ausstellung vom 27. September 2020 bis 18. April 2021 bereits im Kunstmuseum Thurgau in der Kartause Ittingen in der Schweiz zu sehen. Zur Ausstellung ist ein Katalogbuch beim Verlag Hatje Cantz erschienen, das in der Kreisgalerie Schloss Meßkirch für 44 Euro erhältlich ist.
Ausstellungseröffnung am Sonntag, 19. September 2021, 16 Uhr
Begleitprogramm zur Ausstellung
So 3. Oktober 15.00 Uhr
Ausstellungsrundgang mit Claudio Hils und Prof. Dr. Bernd Stiegler, Fotohistoriker und Literaturwissenschaftler, Universität KonstanzSo 17. Oktober 15.00 Uhr
Galeriegespräch „Zivilgesellschaft und Militär“ mit Oberstleutnant Tobias Daniek, bis 2020 Leiter des Übungszentrums Spezielle Operationen in Pfullendorf, Oberst Jochen Gumprich, Standortältester der Bundeswehr in Stetten am kalten Markt, Claudio Hils, Frieder Kammerer, Reservistenkameradschaft Oberer Linzgau, Maik Lehn, Bürgermeister der Standortgemeinde Stetten am kalten Markt.
Moderation: Galerieleiter Dr. Edwin Ernst Weberweitere Informationen
- 2020
- Heimatfront – Bühnenbilder des Krieges, Kunstmuseum Thurgau, Kartause Ittingen, Warth, CH (27.09.2020 - 18.04.2021)
Heimatfront – Bühnenbilder des Krieges, Kunstmuseum Thurgau, Kartause Ittingen, Warth, CH (27.09.2020 - 18.04.2021)
Das Jahr 2020 führt uns die Fragilität der komplexen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verflechtungen schonungslos vor Augen. Um die Kontrolle wiederzugewinnen bzw. sie zu demonstrieren, wurden auch innerhalb Europas hart errungene Freiheiten beschnitten: Plötzlich trennten wieder Grenzzäune zwischen der Schweiz, Deutschland und Österreich miteinander verwachsene Lebensräume und die dort lebenden Menschen.
Für Krisensituationen wie diese trainieren Polizei, Sondereinsatzkommandos, Militär und Brandschutz an speziellen Orten. Für solche Areale interessierte sich Claudio Hils (*1962) bereits, lange bevor überall von «kritischer Infrastruktur» die Rede war. Schon seit Jahrzehnten reflektiert der Fotograf, Dozent und Kurator politisch-gesellschaftliche Zusammenhänge in seiner Arbeit.
«Heimatfront – Bühnenbilder des Krieges» zeigt militärische Tabuzonen, wie sie weltweit existieren, aber kaum zugänglich sind. Auf abgelegenen Arealen in Süddeutschland wird nicht nur zwischen den Relikten der kriegerischen Vergangenheit und in neuen Trainingshallen, sondern in bühnenhaft konstruierten Dörfern, Wohnzimmern und Flugzeugen geübt, zukünftigen Terroranschlägen, kriegerischen Angriffen und Katastrophenszenarien zu begegnen.
Aus einer fünfjährigen Recherche auf zahlreichen Übungsplätzen erzeugt der kritische Fotograf eigenständige Bildwelten. Dabei wird die «Realität» in den Bildern zu einer trügerischen: Idyllische Landschaften sind von bizarren Kulissen durchsetzt, daneben wirken «echte» historische Bauten aus der Zeit des Kalten Krieges wie Filmschauplätze. Zeit- und Wirklichkeitsebenen erscheinen in diesen surrealen Szenerien ineinander verschachtelt. Sie werden zu menschenleeren Bühnen für eine postapokalyptische Erzählung.
Dabei wird angesichts heutiger Kriegstechniken wie dem Cyberwar auch die Vergeblichkeit all dieser Inszenierungen deutlich. Zwischen den Trainingshallen, den modellhaften und abgewrackten Gehäusen erahnen wir, dass der Spielplan des 21. Jahrhunderts ganz anders aussehen wird. Indem Claudio Hils seine fotografische Recherche durch virtuelle Bilder aus Übungssoftware der Bundeswehr ergänzt, verwischt er die Grenzen zwischen Realität und Fiktion auf einer weiteren Ebene. Dadurch entstehen in analogen und digitalen Übungszeitschleifen künstliche Welten verschiedenen «Grades». Das Kämpfen und Retten wird vor dem Hintergrund der Vergangenheit in die Zukunft projiziert. Zwischen Geschichte und Gegenwart, zwischen analogen Nachbauten und digitalen Bildern werden grundsätzliche Fragen nach der Abbildbarkeit von Wirklichkeit gestellt.
Zugleich bringt Claudio Hils letztlich ein Stück zur Aufführung, das unser gespaltenes Verhältnis zu Gewalt beleuchtet: Militärische Räume befinden sich ausserhalb des gesellschaftlichen Rahmens, doch sie sichern diesen zugleich. Armeen gelten als unzeitgemässe Apparate, doch die Beteiligung an humanitären Einsätzen als Notwendigkeit. Das Militär wird gesellschaftlich abgelehnt und verdrängt, aber es wird in Anspruch genommen, um den privilegierten Lebensstil der westlichen Welt zu sichern. Die Ausstellung «Heimatfront – Bühnenbilder des Krieges» zeigt diese unauflösbaren Widersprüche in ebenso zurückhaltenden wie beunruhigenden Bildern.
Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung
So 27. September 11.30 Uhr
«Claudio Hils: Heimatfront – Bühnenbilder des Krieges»
VernissageMi 30. September 17.15 Uhr
Einführung in die Ausstellung für Lehrpersonen und Interessierte mit Brigitt Näpflin und Stefanie Hoch; bitte anmelden bis 24. September 2020 unter sekretariat.kunstmuseum@tg.ch oder T. 058 345 10 60Di 3. November 19 Uhr
Schützengraben oder 3-D-Brille
Podiumsgespräch mit Oberstleutnant Tobias Daniek, Leiter Übungszentrum Spezielle Operationen, Bundeswehr und Oberst i Gst Felix Keller, Kommandant Waffenplatz Frauenfeld, moderiert von Museumsdirektor Markus LandertFr 22. Januar 2021 19 Uhr
Neujahrsapéro
Fotografische Bilderjagd. Ein kleine historische Spurensuche
Ein Abend in Geschichten, Zitaten und Bildern, zusammengestellt von Prof. Bernd Stiegler, Fotohistoriker und Literaturwissenschaftler, Universität KonstanzDo 4. März 2021 19 Uhr
Falsche Chalets – echte Flieger? Simulierte Bilder vom Krieg
Rundgang durch die Ausstellung mit dem Künstler Claudio Hils und der Kuratorin Stefanie HochDi 10. November 19 bis 21 Uhr, Mi 11. November 14 bis 16 Uhr
Frauen-Kunst-Club
Bühnenbilder des Krieges – in Farbe
Gast: Bettina Graf: Farbgestalterin am Bau
Mit Kulturvermittlerin Rebekka Ray, Anmeldung erforderlich unter sekretariat.kunstmuseum@tg.ch oder T. 058 34510 60weitere Informationen
Ausstellungsansichten
- Rezensionen & Artikel
- Gabriele Loges, „Inszenierung eines unbequemen Themas“, in: Schwäbische Zeitung, 21.09.2021 [PDF]
- „Fotograf Claudio Hils zeigt Tabuzonen vor der Haustür“, in: Südkurier, 17.09.2021 [PDF]
- Jennifer Kuhlmann, „An diesen Orten wird der Krieg simuliert“, in: Schwäbsche Zeitung, 11.09.2021 [PDF]
- Die Bildergeschichte: Heimatfront, in: taz, 29.03.2021-1./2.04.2021 [PDF]
- Moritz Honert, „Generalprobe“, in: Der Tagesspiegel, 14.03.2021 [PDF]
- Robin Szuttor, „Heimatfront“, in: Stuttgarter Zeitung, 14.,15. 11. 2020 [PDF]
- Karolina Wrobel, „Bühnenbilder des Krieges“, in: kunst:art schweiz spezial 6 [PDF]
- Michael Lünstroth, „Kriegsspielplätze“, in: thurgaukultur.ch, 21.10.2020 [PDF]
- Johannes Bruggaier, „Wo der Krieg nur ein Puppenhaus ist“, in: Südkurier, 12.10.2020 [PDF]
- Gabriele Loges, „Surreales von der Heimatfront“, in: Schwäbische Zeitung, 07.10.2020 [PDF]
- Dieter Langhart, „Fotos aus der Sperrzone“, in: St.Galler Tagblatt, 26.09.2020 [PDF]
- Andreas Langen, „Heimatfront – Wie mitten im friedlichen Oberschwaben der Krieg simuliert wird”, in: SWR2, 23.09.2020
Andreas Langen, „Heimatfront – Wie mitten im friedlichen Oberschwaben der Krieg simuliert wird”, in: SWR2, 23.09.2020
- Gabriele Loges, „Militärische Tabuzonen direkt vor der Tür“, in: Schwäbische Zeitung, 21.09.2020 [PDF]